Auf Wanderschaft (Teil 3: New York)


News / Montag, Januar 23rd, 2023

Es gibt wohl kaum eine Stadt, die so mit Klischees beladen ist, wie New York. Es ist spätestens mit den großen Auswanderungswellen aus Europa im 19. Jahrhundert zu einem Sehnsuchtsort, einem Portal in die neue Welt geworden. Die Stadt, die seit hundert Jahren mit ihren Wolkenkratzern nach dem Göttlichen strebt. Ein höchstes Gebäude lässt das letzte vergessen, ein geglückter Traum millionen Zerronnene. Mir sei die Pathetik gestattet, das macht diese Stadt irgendwie mit einem.

Mein ganz persönliches New York Trauma beginnt mit einer Tour des Jugend Jazz Orchester NRW, auf die ich, wegen einer Verzögerung im Visaprozess, als einziger verzichten musste. Das führte damals dazu, dass ich erstmal keine Lust hatte in dieses Land zu reisen. Nun sind wir aber im Landeanflug und es lässt sich bereits die bekannte Skyline erahnen. Mein Nachbar, von dem ich in den letzten sechs Stunden nur Schmatzen und Schnarchen gehört habe, dreht sich zu mir um: „Is it your first time in New York? …Oh, that must be so nice for you.“

Schlechte Vorbereitung auf allen Seiten

Es ist Montagabend und ich glaube einen Pflichttermin zu haben. Auf dem Weg in der Subway rezitiert ein Obdachloser laut aus dem Buch der Richter. Schon lange bevor ich die berühmte rote Markise erblicke, sehe ich eine lange Warteschlange bis um die Ecke zum Village Vanguard stehen. Seit jeher (1966) spielt dort die gleichnamige Big Band ihre wöchentlichen Konzerte und, abgesehen vom kostenlosen „Winterjazz-Festival“ in Köln, ist es das erste Mal, dass ich in einer langen Schlange vor einem Jazzkonzert warten muss. Obwohl ich bereit bin 40 Dollar plus Mindestverzehr pro Person, pro Set zu zahlen, komme ich nicht rein, es ist seit längerem ausverkauft. Glücklicherweise gibt es wenige Blocks weiter das „Smalls“, in dem an diesem Abend tatsächlich zufälligerweise George Coleman spielt. Doch schon lange bevor ich den kleinen Eingang zur Kellertreppe erblicke, sehe ich eine lange Warteschlange. Obwohl ich bereit bin 40 Dollar plus Mindestverzehr pro Person, pro Set zu zahlen, komme ich nicht rein, es ist seit längerem ausverkauft. Glücklicherweise gibt es direkt auf der anderen Seite der 7th Avenue noch den kleineren Ableger des „Smalls“, das „Mezzrow“, es ist nicht ausverkauft und kostet nur 25 Dollar plus Mindestverzehr pro Person, pro Set. An diesem Abend spielt ein Klaviertrio mit mir bis dato unbekannten Musikern.

Auf Wanderschaft (Teil 3: New York) 2

Das ist leider alles, was ich von der Village Vanguard Big Band zu sehen bekomme. 

Während ich mich setze spielen sie „You and the night and the music“, es ist ungewöhnlich laut, aber es swingt. Kaum ist das Stück vorbei, beginnt der Pianist mit dem Intro zu einer Eigenkomposition. Etwas hektisch kramt der Bassist in seiner Mappe und bekommt dabei schließlich vom Drummer Hilfe. „What is the name of the piece?“ – „It must be in there!“ – „It’s not“. Zum Glück kann der Drummer das Stück ohne Noten spielen und dafür, dass der Bassist die Noten wohl zum ersten Mal sieht, schlägt er sich erstaunlich gut. Die ganze Situation wiederholt sich in ähnlicher Form bei den nächsten Stücken. Mehrfach beginnt der Pianist schon das Intro und muss dann wieder abbrechen. Die vermutete Freundin des Pianisten streamt das Spektakel mit ihrem Handy als Facebook-Live Video. Das Publikum klatscht wie verrückt in den verrücktesten Momenten, für die eine oder den anderen wohl das erste Jazzkonzert.

Die tote Stadt

Am nächsten Tag versuche ich noch für den nächsten Montag im Village Vanguard zu reservieren und fühle mich sehr naiv, als ich sehe, dass es ebenso ausverkauft ist. Einerseits freue ich mich unheimlich Jazz als etwas Nachgefragtes zu erleben. Andererseits erinnern mich die Konzerte zu sehr an überteuerte Touristenshows:  Tango-Shows in Buenos Aires, Flamenco-Show in Sevilla und eben Jazz-Show in New York. Sowieso wirkt Manhattan etwas morbide. In der Stadt, die niemals schläft machen in vielen ehemals legendären Vierteln viele Bars und Restaurants schon um 22 oder sogar 2o Uhr zu. Die Gentrifizierung ist auf ein Level fortgeschritten, dass ich noch garnicht kannte. Kleinere Kaffeeröstereien und Speciality Cafés sind so stark gewachsen, dass sie von Ketten wie Starbucks in jeglicher Hinsicht kaum zu unterscheiden sind. Viele Luxus-Wohntürme stehen wohl halb leer und es ist unheimlich still, wenn man nachts durch Viertel wie Soho läuft.

Der nächste Versuch zu einem Jazzkonzert zu gehen führt mich zum „Jordan Young Trio“ im „Smalls“. Den Organist des Orgeltrios erkenne ich vom neuesten Jochen Rückert Album wieder und bereue unsere Wahl des Abendprogramms keine Sekunde. Brian Charette’s Orgelsetup ist ein Statement gegen jeden Orgel-Gear-Maniac. Statt „echter“ Hammondorgel und Leslieverstärker, spielt er über eine Orgelemulation mit nur einem Manual (Hammond SK1), sowie über einen Bassamp. Seine Linien sind unheimlich kreativ, virtuos und er bleibt die ganze Zeit in einer ekstatisch anmutenden Enstpannung. Es groovt und swingt und macht einfach gute Laune. Wie kann ich also anders, als ihm zu folgen?

Exodus

Auf der Internetseite von Brian Charette sehe ich, dass er morgen wieder spielt. Dieses Mal aber in Brooklyn, im „Ornithology“. Auf dem Weg in der Subway läuft ein Mann singend durch den Wagon. Alle versuchen ihn zu ignorieren, aber er singt unfassbar gut und strahlt eine unheimliche Freude aus, sodass ich nicht weggucken kann und lachen muss. Statt Almosen zu verlangen wünscht er mir einen wunderschönen Abend. Der Laden liegt im Schatten der Hochbahn und auf der Straße herrscht eine ganz andere Stimmung. Ohne Eintritt gehen wir in den Club, der eher eine Bar ist. Und inmitten von jüngeren Leuten höre ich zwei unfassbare Sets von Brian, Matt Chertkoff und Jochen Rückert. Durch den kostenfreien Eintritt leisten wir uns Cocktails und die im Konzert präsentierte CD „Jackpot“ von Brian.

Es hat ein bisschen gebraucht bis ich meinen Frieden mit New York geschlossen habe. Ich habe mich selbst über meine Naivität gewundert und daraus gelernt. Wir sind in der Subway, auf dem Weg zurück von einem großartigen letzten Abend und ich denke an viele tolle Erlebnisse. Ein Friseur usbekischer Abstammung hat mir seine Lebensgeschichte erzählt, ich war auf einem Herbie Hancock Konzert im Central Park, habe entfernte Verwandte kennengelernt und es war zwischendurch sogar mal schön auf einem Touriboot ein Bier zu trinken. Die Stadt ist nach wie vor ein Anziehungspunkt für talentierte, inspirierte Menschen aus der ganzen Welt, allerdings eher außerhalb des Zentrums: In Brooklyn, Williamsburg, Harlem… Meine Lehre dieser Reise ist es sich besser vorzubereiten, keine falschen Erwartungen zu schüren und den Blick für die kleinen Momente offen zu halten.

Auf der gegenüberliegenden Seite des Wagons fällt mir eine Frau auf. Zwischen den unendlich vielen Menschen in der U-Bahn und hinter der FFP2-Maske fast nicht zu erkennen, weint sie leise, alleine vor sich hin. Was war wohl ihr Traum?